Tipps zum Tagebuchschreiben: Wie sie mehr Kreativität und Inhalt in ihre Texte bringen

Schreiben Sie Tagebuch? Oder möchten Sie gern damit anfangen? Dann greifen Sie zu Stift und Papier und lassen Sie sich durch nichts davon abbringen! Denn Tagebuchschreiben ist erhellend, erfrischend für Geist und Seele und im höchsten Grade gesund. Die Autorin und Psychotherapeutin Elisabeth Mardorf gibt Ihnen wertvolle Tipps, wie Sie Ihre Erlebnisse am besten zu Papier bringen.

Kreativ leben mit dem Tagebuch

Tipps von Elisabeth Mardorf

„Nichts gibt uns mehr Aufschluss über uns selbst, als wenn wir das, was vor einigen Jahren von uns ausgegangen ist, wieder vor uns sehen, so dass wir uns selbst nun mehr als Gegenstand betrachten können“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit)

Zwei Beispiele für Tagebuch-Übungen

1) Detektiv spielen

Auch diese Übung ist eine Übung zur Selbstwahrnehmung. Machen Sie sie möglichst, wenn Sie allein zu Haus sind. Gehen Sie ganz langsam Raum für Raum durch Ihre Wohnung oder Ihr Haus. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Fremder, der Sie nicht kennt und zum ersten Mal Ihre Räume sieht. Aus Einrichtung, Zustand der Wohnung und Inhalt der Schränke zieht er Schlüsse über die Person oder die Familie, die hier lebt, entwickelt Vermutungen über den Charakter der Menschen an, die hier leben, über die Gewohnheiten, Interessen, Aktivitäten.
Vor der Wohnungstür: Was kann man aus dem Klingelschild schließen? Da gibt es ein Tonschild mit der Ankündigung „Hier wohnen Anna, Benjamin, Bello, Sibylle und Heinz Müller“. Aha, eine Familie mit Hund. (Aber schon fällt Ihnen ein, dass Sie sich seit langem davor drücken, das Türschild den geänderten Lebensumständen anzupassen. Anna studiert schon seit vier Jahren und lebt in einer anderen Stadt, Benjamin macht Zivildienst und wird wohl auch nicht mehr nach Hause zurückkehren. Und Bello mussten Sie voriges Jahr einschläfern lassen). Der Detektiv wird also auf eine falsche Fährte gelockt. Hier wohnen ja tatsächlich nur zwei Leute.
Dann hängt da ein Türkranz mit Osterküken und Frühlingsblumen. Wir haben aber Juni. Der Detektiv denkt, entweder die Familie ist so beschäftigt, oder keiner schaut je hin, wenn er nach Hause kommt.
Die Haustür ist aus abgelaugtem und liebevoll bearbeitetem Holz, und ein alter, schon etwas verwitterter Aufkleber berichtet, dass hier „atomwaffenfreie Zone“ sei. Aha, eine „Müsli- Familie“, nicht ganz auf der Höhe der Zeit, vermutlich Lehrer. (Sehen Sie, wie einfach Vorurteile entstehen?)
Im Hausflur stehen mehrere Paare Männerschuhe aus robustem Leder, Birkenstocks und ein Paar dunkle elegante Damenpumps. Hm, scheint ein Paar mit Dynamik zu sein bei solch unterschiedlichem Geschmack. Wo sind denn die Kinderschuhe? Da stimmt doch etwas nicht!
An der Garderobe hängt eine wetterfeste Wachsjacke in kleiner Größe mit einem Regenhut. Gehört vermutlich der Dame des Hauses. Sie scheint zierlich zu sein. Richtig, die haben ja einen Hund, da hängt ja auch die Hundeleine. Aha, die Dame ist also nicht nur zierlich, sondern auch robust, sie scheint bei jedem Wetter mit dem Hund nach draußen zu gehen. (Später ist unser Detektiv irritiert, dass er den Hundenapf im Keller findet, und weit und breit keine Spur von Hundefutter zu entdecken ist.)
Im Klo gleich neben dem Eingang hängt ein Schild „Männer pinkeln hier im Sitzen“. Die Klobrille ist aber oben. Interessant, da scheint ein kleiner Krieg zwischen den Männern und Frauen der Familie in Gang zu sein.
Der Detektiv geht weiter durch die Wohnung … und Sie schauen sich bis in die Einzelheiten und bis in die Schränke hinein an, was solche Äußerlichkeiten über Sie und Ihre Familie aussagen.
Lesen Sie nach ein paar Tagen noch einmal durch, was Sie geschrieben haben. Notieren Sie dann, welche Konsequenzen Sie aus Ihren Beobachtungen ziehen möchten.

2) Autobiographie

Diese Übung dient dazu, wichtige Punkte Ihrer Entwicklung zu identifizieren und gewissermaßen einen seelischen Lebenslauf zu erstellen, der mit den äußeren Ereignissen in Verbindung gebracht wird. Ein solcher Rückblick auf Ihr Leben kann Ihnen helfen, den „Roman Ihres Lebens“ besser zu verstehen und in Zukunft vielleicht die Handlung zu beeinflussen…
Stellen Sie sich vor, Sie schreiben Ihre Autobiographie und stellen jede wichtige Phase Ihres Lebens in einem eigenen Kapitel dar. Jedes Kapitel erhält eine eigene Überschrift, die möglichst prägnant diese Phase zusammenfasst. Hier das Beispiel einer 63-jährigen Frau:

1. Kapitel – 1945: Nicht ganz ein Wunschkind – Die Welt liegt in Trümmern, und ich werde geboren (oder: das war ein fruchtbarer Heimaturlaub)
2. Kapitel – 1946: Der Heimkehrer. Mein Vater kommt aus der Gefangenschaft nach Hause
Kapitel.
3. Kapitel – 1948: Die Konkurrenz. Eine Prinzessin wird entthront – meine Schwester wird geboren
4. Kapitel – 1949: Ich will nicht in den Kindergarten, ich will bei Mutti bleiben
5. Kapitel – 1951: Die große weite Welt. Ich komme in die Schule.
6. Kapitel – 1951:Wir haben einen Hund!
7. Kapitel- 1953: Die fromme Helene. Kommunion und Beichte. Bin ich ein schlechter Mensch?
8. Kapitel – 1954: Mutti hat einen dicken Bauch. Fragen über Fragen
9. Kapitel – 1955: Mein Bruder, der Schreihals.
10. Kapitel – 1957: Erste Begegnung mit dem Tod. Omama stirbt. Meine erste Periode.
11. Kapitel – 1960: Von Herzen und Schmerzen: Meine erste große Liebe, und keiner darf es wissen.
12. Kapitel – 1961: Wir haben einen Fernseher! Ich will Schauspielerin werden.
13. Usw. – bis zum aktuellen Jahr

Es wird deutlich, dass im Laufe der Jahre nicht nur äußere Ereignisse zählen, sondern auch Punkte in der seelischen Entwicklung eine immer größere Rolle spielen.
Versuchen Sie, Ihre eigene Form zu finden, aber versuchen Sie auf jeden Fall, auch für Ihre ersten zehn Lebensjahre mehrere Kapitel zu entwerfen. Die meisten Menschen haben nicht mehr viele Erinnerungen an die ersten Lebensjahre, aber Sie kennen sicher aus Ihrer Familiengeschichte einige Daten, die ihnen beim Verstehen Ihres eigenen Lebens helfen.
In diesem Beispiel kann sich die Frau natürlich nicht konkret an die Rückkehr ihres Vaters aus der Gefangenschaft erinnern. Aber sie kann sich durchaus vorstellen, was es 1945 für eine junge Frau bedeutete, ein Kind zur Welt zu bringen, dessen Vater in Gefangenschaft ist. Sie hat großen Respekt vor der Leistung ihrer Mutter. Und sich vor Augen zu führen, dass der Vater Schreckliches erlebt haben muss, hilft vielleicht dabei, ihn auch im Nachhinein besser zu verstehen und ihm vielleicht manches zu verzeihen, was die Jugend überschattete. (Ich habe in der Therapie 60-Jährige wegen ihrer Eltern weinen sehen – unterschätzen Sie nicht, wie wichtig solche Themen in jedem Lebensalter sein können!)
Sie können auch versuchen, sich auf eine bestimmte Anzahl Kapitel zu beschränken und nur die ganz zentralen Wendepunkte zu benennen. Das müssen nicht immer großartige Ereignisse sein. Für einen 43-jährigen Mann war das zentrale Ereignis seiner Erinnerung, als ihm im Alter von vier Jahren sein teurer Kirmes-Luftballon davonschwebte und er unendlich traurig und voller Sehnsucht war. Er konnte sich niemandem mitteilen, wurde von den Eltern sogar noch ausgeschimpft, und diese Einsamkeit bestimmte viele Jahre hindurch sein Lebensgefühl.

Welche größeren oder kleineren Erlebnisse haben Sie geprägt?

Viele weitere gute Tipps zum Tagebuchschreiben finden Sie in dem Ratgeber von Elisabeth Mardorf!

Kreativ leben mit dem Tagebuch Ratgeber von Elisabeth Mardorf:
Pressestimmen zur früheren Ausgabe dieses Buches
„Was dieses liebenswerte Buch besonders lesenswert macht, sind die persönlichen Bemerkungen und überzeugenden Anregungen, die zum Schreiben animieren“ (Ev. Zeitung)

„Elisabeth Mardorf befindet sich in bester literarischer Gesellschaft von Autorinnen und Autoren wie Virginia Woolf, Luise Rinser, Maxi Wander,Käthe Kollwitz, Max Frisch oder Victor von Klemperer, für die das Tagebuchschreiben unentbehrlich geworden war“ (Neue Osnabrücker Zeitung)

„Spannend waren für mich vor allem die Gedanken rund um das Wiederlesen des Tagebuchs, die von der heilenden Kraft der Erinnerung erzählen.“ (Pierre Stutz, ferment)

(5 Rezensionen / 4,2 Sterne) (150 Normseiten) hier kaufen!

Über die Autorin:
Elisabeth Mardorf ist Psychotherapeutin, Coach und Autorin. Sie schreibt seit 50 Jahren Tagebuch und hat unter anderem daraus gelernt, Erlebnisse in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in der Nähe von Osnabrück.
Viele Seelen wohnen in ihrer Brust: Sie hat mit 8 Jahren das Häkeln und Stricken gelernt, mit 11 Jahren das Nähen und mit 12 Jahren das Kochen. Die heutige Frau Dr. Mardorf findet immer noch die verschmähten hausfraulichen Tugenden eine Bereicherung des Lebens, und neben ernsten Sachbüchern, Biografien und Krimis liest sie durchaus gern Frauenzeitschriften und die verpönten „Frauenbücher“. Sie steht auch dazu, dass sie gerne Rosamunde-Pilcher-Filme und Schmonzetten sieht, die ihrem Mann Spuren der Verzweiflung ins Gesicht zaubern.
Gelegentlich tritt sie mit Freundinnen in der Formation „Die platten Wiever“ in einer kleidsamen Kittelschürze auf.
Motto: Nur wer über sich selbst lachen kann, ist ernst zu nehmen.

Homepage der Autorin: www.elisabeth-mardorf.de