Computer erleichtern unser Arbeitsleben enorm. Aber tun sie uns immer gut? Wie beeinflussen die täglich eingesetzten Hilfsmittel die Gehirnentwicklung? Müssen wir heute noch Wissen stur pauken, wo wir uns doch jederzeit über Google informieren können? Im heutigen Artikel geht es um Licht und Schatten im Einsatz der Technik, ein durchaus kontrovers diskutiertes Thema.
Digitale Demenz durch digitale Medien?
Tipps zum Umgang mit den digitalen Medien von Manfred Spitzer
Die digitale Arbeitserleichterung und ihre Folgen
Eins vorweg: Manfred Spitzer ist kein Gegner der digitalen Medien. Als Neurowissenschaftler ist er tagtäglich auf Computer, Internet und Technik angewiesen. Copy und Paste, also Kopieren und Einfügen von Texten, das bringt uns allen Arbeitserleichterung. Und genau dafür ist ein Computer auch da, er nimmt uns Arbeit ab. Problematisch wird es dann, wenn die Benutzung von technischen Hilfsmitteln unsere Gehirnentwicklung in irgendeiner Form behindert. Unser Gehirn arbeitet genauso ökonomisch wie unsere Muskulatur: Was gebraucht wird, das wird verstärkt. Was nicht gebraucht wird, das verkümmert.
Zu Beginn der Entwicklung nahm die Technik uns die körperliche Arbeit ab. Auch wenn wir die Vorteile nicht missen möchten, kämpfen heute viele Menschen mit den Folgen. Sie leiden unter Übergewicht und unter Zivilisationskrankheiten. Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen sind Beispiele für Krankheiten, die durch einen aktiveren Lebenswandel in vielen Fällen günstig zu beeinflussen sind.
Heute lassen wir uns neben der körperlichen Arbeit auch viel geistige Arbeit abnehmen. Das einfachste Beispiel ist der Taschenrechner, der heute im Alltag fast immer durch Tabellenkalkulationsprogramme ersetzt wird. Das Navigationsgerät im Auto findet für uns den Weg durch die fremde Stadt. Es erledigt die Arbeit, die früher der Hippocampus für uns gemacht hat.
Wann sind digitale Hilfsmittel eine echte Arbeitserleichterung und wann behindern sie unsere geistige Entwicklung? Diese Frage wird heute sehr kontrovers diskutiert. Einige Politiker feiern es als großen Fortschritt, wenn Klassenzimmer von Zweitklässlern bereits mit Laptops für jeden Schüler ausgestattet sind. Wir alle wollen die Kinder möglichst früh mit der Technik vertraut machen, damit sie nicht den Anschluss an unsere schnelllebige Welt verpassen.
Problematisch sind Hilfsmittel deshalb, weil das Lernen von der Tiefe der Verarbeitung abhängt. Um mehr Tiefe zu erreichen, muss man den zu lernenden Sachverhalt aus möglichst vielen Perspektiven betrachten. Durch das schnelle Bearbeiten am Computer sind wir schneller fertig, aber häufig wird auch die Verarbeitungstiefe deutlich reduziert. Früher musste man einen Text ein zweites Mal abschreiben, heute drückt man auf „PRINT“.
Computer in der Schulklasse
Dieses Problem verdeutlicht Manfred Spitzer an einem Beispiel: Seit der frühen Einführung des Computers in chinesischen Schulen kennen die Schüler heute immer weniger Schriftzeichen. Warum ist das so? Früher musste jedes Zeichen von Hand geschrieben werden. Um auch keine Striche und Punkte zu vergessen, musste man das sehr oft üben. Da wurde ein Zeichen viele Male abgemalt und später ohne Vorlage geschrieben. Anders am auf chinesisch eingestellten Computer: Da tippt man die Buchstaben der Silbe ein (Pinyin), und auf dem chinesischen Computer erscheinen ca. 10 verschiedene Schriftzeichen in der Reihenfolge ihrer Popularität. Mit dem Tippen einer Zahl wählt man aus.
Am Computer muss man das Zeichen nur wiedererkennen, man muss sich dazu nicht jedes Detail merken, wie wenn man es ohne Vorlage zeichnet. Natürlich lernt man viel schneller, zehn chinesische Zeichen voneinander zu unterscheiden, statt zehn Zeichen korrekt zu zeichnen. Die Verarbeitungstiefe sinkt bei dieser Form des Lernens zwangsläufig. Und genau das haben die Chinesen in ihren Studien herausgefunden.
Google weiß alles?
Man muss nicht mehr alles wissen, man kann ja googeln. So argumentieren heute viele Menschen. Kann man dank ausgefeilter Suchmaschinen auf eine gute Allgemeinbildung verzichten? Das geht nicht, denn Google spuckt eine wilde Mischung von Informationen aus. Einige davon sind gut, andere sind auch fehlerhaft oder veraltet. Heute kann jeder alles ins Internet schreiben. Um gute von schlechten Informationen zu unterscheiden, benötigt man Vorwissen auf dem Gebiet, das man googelt. Ohne solide Allgemeinbildung ist das Googeln manchmal sogar gefährlich. Ärzte können ein Lied davon singen, wenn Patienten vor dem Arztbesuch bereits die Diagnose ergoogelt haben – häufig die falsche. Fazit: Gut googeln kann man leider erst, wenn man über ein gutes Vorwissen verfügt, also Informationen schon gut verarbeitet wurden. Wer viel weiß, kann sich leichter weiteres Wissen beschaffen.
Gehirnjogging – besser lernen
1) Wer etwas zu lernen hat, muss den Sachverhalt aus verschiedenen Perspektiven geistig bearbeiten. Dazu können ein Stift und ein Blatt Papier nützlicher sein als der Computer
2) Wer ein Navi benutzt, sollte dies aktiv tun, sich orientieren und die Infos des Navis nutzen, seine innere Karte der Welt zu erweitern. Dann ist man bei einem Ausfall der Technik nicht hilflos und kann sich auch in Gebäuden besser orientieren, wo kein Navi zur Verfügung steht
3) Je mehr man lernt im Leben, desto höher erklimmt man den geistigen Berg. Je weiter oben man sich befindet, desto länger dauert im Alter der Abstieg. Daher hilft Lernen und Bildung, eine Demenz im Alter hinauszuzögern, die Symptome treten später auf, da vorher noch genug Strukturen da sind, die den Verfall sozusagen kompensieren.
Weitere gute Tipps für den Umgang mit den digitalen Medien finden Sie in dem Buch „Digitale Demenz“ von Prof. Manfred Spitzer!